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Hinter der Fassade
Die langhaarigen Weisen im Adamskostüm kleiden sich nur in gelbe Gewänder des Staubs. Sie gehen dem Zuge des Windes nach, wenn die Götter des Lebens in sie gefahren sind.
Rig Veda (10:136)
In der antiken Geschichte lebte für eine kurze Zeit ein großer ägyptischer Pharao namens Echnaton. Er war mit der schönsten Frau der Welter verheiratet: Nofretete. Er hatte mehrere Töchter und einen Sohn namens Tutanchamun, der erst später sehr bekannt wurde, aber das ist eine andere Geschichte.
Echnaton war ein religiöser Reformator. Er war satyāgraha (satya = „Wahrheit“ + graha = „von etw. gefangen genommen sein“ ). Echnaton war so vom Drang nach Wahrheit besessen, dass er es mit
Mahatma Gandhi hätte aufnehmen können, so weit ging er mit seiner Verpflichtung an satyāgraha. Es war sein innigster Wunsch wahrhaftig zu sein und es der Wahrheit zu ermöglichen über jegliche Täuschung und Betrug hinweg zu scheinen. Echnaton hatte für die damalige Zeit sehr radikale Ideen. Er glaubte an nur einen Gott und verehrte diesen in Form der Sonne (Aten), die auf Alle gleichsam scheint und durch deren Licht Leben entsteht und erhalten wird. Aus seiner Sicht sollte Gottes Schöpfung sich ungekünstelt, frei von Vortäuschungen, einfach nackt vor dem Göttlichen zeigen.
Um dieses Ziel zu verfolgen, lehnte er es ab Kleidung zu tragen, denn er hatte den Eindruck, diese würde den Körper verdecken und jenen vor Gott verstecken. Kleidung führte zu Unterschieden zwischen den Leuten, zu einer Hierarchie zwischen Arm und Reich, abhängig von der Kleidung,die sie trugen. Echnaton weitete sein Üben in satyāgraha sogar auf sein zu Hause aus. Er ließ das Dach seinen Palastes entfernen, um ganz der göttlichen Sonne ausgesetzt zu sein und sich nicht in seinem Menschen gemachten Haus zu verstecken. Um sein Verständnis von Wahrheit mit seinem Volk zu teilen, erschien seine Familie auf dem Balkon des Palasts vollkommen nackt. Wenn er im Palast Besuch aus anderen Ländern empfing, wurde diesem angeboten sich seiner Kleider zu entledigen. Die einzige unangenehme Sache die ein Diplomat aus Mesopotamien nach seinem Besuch in Amarna (die Stadt in der die Pharaonenfamilie lebte) in seinem Reisebericht festhielt, war der schlimmste Sonnenbrand, den er jemals hatte. Echnatons Philosophie und seine politischen und religiösen Ansichten fanden nicht viele Anhänger. In seinem 17. Amtsjahr wurde er getötet.
Lord Krishna, der vor über 5000 Jahren in Menschengestalt erschien und eine Inkarnation des Ur-Gottes Narayana aus der indischen Mythologie war, betonte ebenfalls die Wichtigkeit von Satya und dem Entblößen der Seele. Die Geschichte in der er die Kleider der Gopis (Milchmägde aus Vrindavan) stahl während sie badeten, illustriert das sehr deutlich. Die Opis legte ihre Kleidung ab, um im Yamuna (ein Fluss in Vrindavan) zu baden. Während sie im Wasser waren, nahm Krishna ihre Saris und kletterte auf einen nahe gelegenen Baum. Von dort aus ermunterte er sie aus dem Wasser zu kommen, um ihn zu begrüßen. Die jungen Gopis waren verlegen und gingen tiefer ins Wasser hinein, um ihre Nacktheit zu verbergen. Krishna begann auf seine Flöte zu spielen und überbrachte so das universelle Wissen über unsere Beziehung mit dem Göttlichen, die keiner Form der künstlichen Verhüllung oder einem Verstecken der Wahrheit bedarf. Gott gegenüber können wir uns ganz offenbaren und so in Kontakt mit unserer eigenen Wahrheit kommen. Die Gopis, verstanden die göttliche Lehre, kamen aus dem Wasser heraus und waren befreit von ihrer falschen Zurückhaltung und Scham.
Kleidung sind Hüllen unseres Selbst. Wir hüllen uns in unser Geschlecht, unsere Herkunft, unsere Religion, unsere Vorurteile und unsere vor allem egoistischen Interessen. Auch die Geschichten die wir über uns selbst erzählen sind eine form der Bekleidung. Die nicht erleuchteten identifizieren sich mit ihrer Geschichte – der Geschichte ihrer Persönlichkeit. Sie missverstehen die karmischen Schichten die sie aufgebaut haben als ihr wahres Selbst, also die Kleidung die sie tragen. Du kennst sicher die Redewendung: „Kleider machen Leute“, aber diese muss nicht zwingend zutreffen. Jeder von uns hat die Wahl seine eigene Geschichte zu schreiben. Wenn wir unsere Geschichte erzählen, werden wir ein Teil von ihr. Wir können eine wahre Geschichte erzählen oder eine Lüge – wie wahrhaftig ist deine Geschichte?
Die innerste Seele unseres Wesen besteht aus ānanda – Glückseligkeit. Diese Schicht der Glückseligkeit wird von vielen anderen Schichten, die aus unseren Karmas (Handlungen und Taten) entstanden bedeckt. Die verschiedenen Schichten unseres Körpers und unsere Karmas zu reinigen ist das Ziel der Yogapraxis. Nur durch Liebe und Hingabe gegenüber dem Göttlichen können diese Karmas gereinigt werden, so dass wir nicht mehr länger in ihnen gefangen sind. Dann sind wir auch nicht mehr in den verschiedenen Schichten unseres Seins gefangen, den Hüllen unserer Seele und können uns ganz offenbaren, ganz nackt sein, ohne Anzuhaften an unserer falschen Identität, die aus Unwissenheit und unseren vergangenen Karmas entstand. Wir lassen unsere Hüllen fallen und unser wahres Selbst kommt zum Vorschein: Glück und Freude.
Wegen starker kultureller Konditionierung ist es wahrscheinlich weder praktikabel noch sicher auf den Straßen dieser Welt nackt herum zu laufen, obwohl viele Sadhus (religiöse Asketen) und Jain Mönche dies tun. Unter unserer Kleidung sind wir alle nackt. Wir können Satya üben, in dem wir nicht an unseren begrenzenden Geschichten anhaften und in Einklang mit unseren Karmas kommen. Yoga kann uns dabei unterstützen wieder nackt zu sein, in den Hüllen und Körpern, die unsere Seelen verdecken.
Original im Englischen: Sharon Gannon , Co – Founder of Jivamukti Yoga
Jivamukti Yoga School NYC
Peace Yoga Berlin – Jivamukti Yoga School